Dr. Thomas Macho (Univ.-Prof. i.R.)
Direktor des IFK
Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften |
Kunstuniversität Linz in Wien
Email: office@thomasmacho.de

Zur Konstruktion kultureller Selbstbilder durch Zeitrechnung und Universalgeschichte

Teilprojekt A07 im Rahmen des SFB 644 »Transformationen der Antike«

Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Anna Echterhölter

Unterprojekt 1: Zum Bild- und Strukturwandel chronologischer Modelle (Anna Echterhölter)

Das Teilprojekt »Transformationen der Chronologie« basiert auf der Recherche und Dokumentation hoch- und spätmittelalterlicher sowie neuzeitlicher Entwürfe zur Weltchronistik und Universalgeschichte. Dabei geht es - im Sinne einer Vorgeschichte der modernen Universalgeschichte - um eine wissens- und ideengeschichtliche Kontextualisierung der jeweiligen Chronologien und Epocheneinteilungen, einerseits im Blick auf die verschiedenen Anforderungen durch die verwendeten Systeme der Zeitrechnung (von der computistischen Kalenderwissenschaft bis zur Jahrhundertrechnung), andererseits im Blick auf die zugrunde liegenden (religiösen oder mythischen) Narrationsmuster. Besondere Aufmerksamkeit kommt den Wechselwirkungen zwischen der Übernahme und christlichen Modifikation antiker Lehren von Epochen und Weltaltern (einerseits) und der Konstruktion der Antike als Vorläuferepoche selbst (andererseits) zu. Neu beleuchtet werden soll die Geschichte der Durchsetzung des christlichen Zeitmodells der retrospektiven Inkarnationsära (der Drehung des Kalenders um ein achsenzeitliches Zentralereignis). Insgesamt will das Teilprojekt einen Beitrag zur Beantwortung der Frage liefern, wie sich Kulturen durch ihre Zeitordnungen jeweils begründen und konstruieren.

Das Unterprojekt zum Bild- und Strukturwandel chronologischer Modelle begleitet und fundiert die Untersuchungen durch eine exemplarische Erhebung, Analyse und Dokumentation der Bild- und Strukturmodelle von Zeitordnungen. Ein erster Schwerpunkt liegt auf der Geschichte der genealogischen Bäume - von der arbor porphyriana bis zum Lullismus, vom Ramismus bis zur Enzyklopädistik -, ein zweiter Schwerpunkt auf der Geschichte der Listen, Tabellen, Zeitachsen und Time lines. In diesen Zusammenhängen werden zudem Interferenzen zwischen ikonisch-symbolischen und diagraphisch-abstrakten Darstellungsmethoden untersucht. Die Visualisierungen der Chronologie werden in einer Bilddatenbank gesammelt und dokumentiert.

Die konstitutiven Erscheinungsformen und Modelle einer räumlichen und zeitlichen Konstruktion kultureller Identität (und deren Transformationsgeschichten) sind auch darum so wichtig, weil sie zugleich als Systeme der (topologischen oder temporalen) Systematisierung des Wissens fungieren. Auch und gerade die »Ordnung der Dinge« setzt räumliche und zeitliche Ordnungen voraus. Ziel des Projekts ist es daher, chronologische Ordnungsformen zu historisieren. Diese Modelle können als Strukturierungs- und Visualisierungsangebote interpretiert werden, deren Transformationsgeschichte auch die Geschichte der Chronologie und der Epocheneinteilungen maßgeblich beeinflusst hat.